August Unterreitmeier ist schon lange Teil der Ökumenischen Kinder- und Jugendförderung. Lea Himmelsbach ist die neue Geschäftsführerin. Foto: Cools
 Kinder mit Handicap "in Watte packen" und gesondert von Gleichaltrigen betreuen? Inklusion funktioniert anders, sagen Lea Himmelsbach und August Unterreitmeier von der Ökumenischen Kinder- und Jugendförderung (OEKJ).
Kreis Rottweil - 250 Kinder nehmen die Frühförderung des OEKJ bereits in Anspruch, weitere 100 stehen auf der Warteliste – "der Bedarf ist unglaublich groß", sagt August Unterreitmeier.
 
Aber was ist die Ökumenische Kinder- und Jugendförderung überhaupt, und was leistet sie? In den 70er-Jahren fing alles mit dem Zusammenschluss von mittlerweile 38 Kirchengemeinden im Kreis Rottweil und der Gründung des Förderkindergartens Schmetterling für Kinder mit Handicap an – anfangs mit einer Gruppe am Standort Rottweil-Bühlingen. Inzwischen gibt es drei weitere Gruppen in Deißlingen, Schramberg und Oberndorf, die von insgesamt 24 Kindern besucht werden. Auch die Anzahl der Mitarbeiter in der OEKJ ist von einer Handvoll auf mehr als 50 angestiegen.

Personelle Umstrukturierung

20 Jahre lang war August Unterreitmeier Fachleiter für den Bereich Schulkindergarten, seit 2016 zudem Geschäftsführer des gemeinnützigen Vereins. Aus gesundheitlichen Gründen zieht er sich nun zurück – auch wenn er als Heilpädagoge erhalten bleibt – und die OEKJ stellt sich neu auf.

Seit September ist Lea Himmelsbach die neue Geschäftsführerin. Sie war zuvor unter anderem als stellvertretende Geschäftsführerin im DRK Kreisverband Villingen-Schwenningen tätig. Die Fachleitung für die verschiedenen Bereiche der OEKJ übernehmen die Mitarbeiterinnen Anika Zimmermann (Kindergärten), Sabine Eschle (Verwaltung), Ulrike Walz-Lüdke (Interdisziplinäre Frühförderstelle bis 31. Dezember 2022) und Sandra Zitzler (Interdisziplinäre Frühförderstelle ab 1. Januar 2023).

Möglichst früh fördern

Die Frühförderungs- und Beratungsstelle[nbsp]gibt es bereits seit 1980. Ziel ist es, Kinder mit Entwicklungsauffälligkeiten, -verzögerungen oder Behinderungen möglichst früh und bis zum Schuleintrittsalter zu fördern. Dazu gehören praktische Hilfen, Kontaktangebote zu anderen betroffenen Eltern, aber auch zu Kliniken und Fachdiensten, sowie persönliche Gespräche und Hilfestellung bei sozialrechtlichen Fragen, aber auch die Arbeit mit Ergotherapeuten, Physiotherapeuten, Logopäden und Heilpädagogen.

"Für betroffene Eltern ist das Zukunftsbild, das sie im Kopf hatten, plötzlich zerstört, wenn das Kind nicht der Norm entspricht. Da entstehen große Ängste", erklärt Unterreitmeier. Diese Ängste und Sorgen würden sich dann manches Mal auch auf die Kinder übertragen, wenn diese spürten, dass die Eltern kein Vertrauen in sie haben und sie "in Watte packen".

Manchmal eine Frage des Selbstvertrauens

Das habe sich beispielsweise bei einem Kind mit Mutismus, auch psychogenes Schweigen genannt, gezeigt, das irgendwann dann doch angefangen habe zu sprechen. Oft hingen Probleme wie diese mit Selbstvertrauen zusammen. "Das Ziel der Förderung ist, alles herauszukitzeln, zu dem das Kind fähig ist, und den Kindern zu vermitteln, dass sie so, wie sie sind, in Ordnung sind", so Unterreitmeier.

"Wir hatten mal ein fünfjähriges Kind, das nicht laufen konnte, aber in einer Gruppe war, in der alle laufen konnten. Mit dieser Motivation vor Augen hat es eines Tages hat auch damit angefangen", erzählt Unterreitmeier begeistert. Umso wichtiger sei es, keinen "Schutzschirm" über beeinträchtigte Kinder zu ziehen, sondern diese mit unbeeinträchtigten Kindern zusammenzubringen. Auch um diese mit dem "Anderssein" mancher Kinder in Berührung zu bringen.

"Man muss die Kinder dem ›normalen‹ Leben aussetzen, sonst verharren sie in ihrer Entwicklung. Fördern und fordern ist das Stichwort", erklärt Lea Himmelsbach. Eine 1:1-Betreuung sei nicht Sinn der Sache und keine Inklusion. Vielmehr sollte diese ganz natürlich durch den Kontakt mit Gleichaltrigen erfolgen. Wer immer eine Sonderbehandlung bekomme, könne später sonst Verhaltensauffälligkeiten entwickeln und vielleicht sogar ein Fall für die Psychiatrie werden. "Mit der Frühförderung verhindern wir also, dass so etwas der Gesellschaft später auf die Füße fällt", so Himmelsbach.

Fördern und fordern

Mensch im Fokus

Zur Arbeit der OEKJ gehört aber auch, Kindergärten zu unterstützen, die Kinder mit Beeinträchtigung aufgenommen haben. "Wir wollen das Thema Inklusion in der Gesellschaft verankern und dafür sorgen, dass die Kinder nicht woanders ›hingeschoben‹ werden, sondern Erzieher dahingehend schulen, wie sie mit Kindern umgehen, die vielleicht nicht so einfach sind", erklären die OEKJ-Vertreter. Der Blick soll auf das Kind gelenkt werden anstatt auf dessen Beeinträchtigung.

Viele Erfolgserlebnisse

Erfolgserlebnisse gebe es bei der Arbeit jede Menge, sagt August Unterreitmeier. Nicht selten habe er von Kindern, die die Frühförderung in Anspruch genommen hatten, gehört, dass sie später aufs Gymnasium gingen. "Wenn man eine Beeinträchtigung hat, heißt das nicht, dass die Laufbahn vorprogrammiert ist", sagt er.

Gerne würde die OEKJ ihr Angebot noch weiter ausbauen, beispielsweise in Richtung Sulz, doch der "Streit ums Personal" sei auch in diesem Bereich ein großes Problem. Es mangele an Therapeuten, insbesondere Logopäden, beklagen Unterreitmeier und Himmelsbach. Auch auf Spenden sei man als gemeinnütziger Verein, der ja keinen Gewinn machen dürfe, immer angewiesen, um Kindern weiter dabei helfen zu können, trotz Beeinträchtigungen das Beste aus sich herauszuholen.

 

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